Zweifelsfrei

Weiter gehts. Wir durchwaten Gräben und stolpern über Ackerfurchen. Getreideähren neigen sich unter unseren Schritten zu Boden. Wo wir uns den Weg gebahnt haben, durchzieht eine Schneise das Feld. Schade um das noch nicht gereifte Korn. Schade um die Mühen des Bauern, der die Saat ausgebracht und den Boden bereitet hat. Sein Getreide erträgt Leid das es nicht verdient hat. Es tut auch uns weh. Sorry. Aber es muss sein.

Denn wir machen Ernst. Es geht um unser Klima, dieses einzigartige, unserer Spezies vertraute Klima, ohne das es für uns keine kalkulierbare Zukunft gibt. Nicht für uns – und weniger noch für die Ärmsten der Armen, für die es kein Entrinnen gibt, wenn Ozeane ihr Land fressen, Stürme und Dürren den Rest an Leben vernichten. Und am Ende geht es auch um die von uns gequälten Ähren, die allein dem fortschreitenden Klimawandel nichts entgegenzusetzen hätten. Wir lassen uns nicht aufhalten, wo Handeln längst zur Pflicht geworden ist. Wer da noch über Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch oder ähnliche Straftaten zetert, hat wohl den Schuss nicht gehört. Der Krieg hat schon begonnen.

Ein schwarzer Block vermummter Staatsmacht erwartet uns. Die „Bullen“ erscheinen uns wie Büttel längst der Klimavergiftung überführter Kapitalverbrecher, welche die Staatsgewalt kaufen, um ihre schmutzigen Geschäfte weiter betreiben zu können. Braunkohle zu verbrennen, daraus elektrische Energie zu gewinnen und kräftig abzusahnen. Gierig die letzten Ressourcen zu verschlingen. Nur so zum Spaß.

Aus den Visieren der Garde des staatlichen Gewaltmonopols verfolgen unzählige Augenpaare unser Tun. Hundertschaften warten auf den Marschbefehl. Sie werden die Schlacht eröffnen, uns unter der Anonymität ihrer schwarzen Tarnung den Weg abschneiden, uns zurückdrängen, uns mit Kraft von unserem Platz zerren. Mit aller Macht. Wo die Polizei einschreitet, sind Prügel nicht weit. Wir kennen alle die Bilder: aufgenommen beim G20-Gipfel-Protest und auf anderen Schlachtfeldern.

Wer von uns beim G20 Protest dabei war, erwartet den Angriff nicht unvorbereitet: Das Mobile-Phone ist dabei. In Videos wird es staatliche Gewalt eindrucksvoll festhalten. Twitter und Co. helfen uns, die Schuldigen öffentlich zu entlarven. Wer neu unter uns ist, wird bitter erfahren, was es heißt, Opfer hoheitlicher Willkür zu werden. Das schweißt uns zusammen, stärkt uns auf dem allein richtigen Weg, den wir gehen: zu retten, was fast nicht mehr zu retten ist. Wo der Staat und die Gesellschaft komplett versagen, werden wir dem Klimawandel rigoros Einhalt gebieten. Hier und jetzt: wo ohne Rücksicht auf die CO2- Emissionen weiterhin Kohle verfeuert werden soll, um den unersättlichen Energiehunger unserer Gesellschaft zu befriedigen.

Wir werden ein Zeichen zur Nachahmung setzen. Wir werden die Spitze einer Bewegung sein, die einmal als Avantgarde einer gerechteren Welt in die Geschichtsbücher eingehen wird. Ihr werdet sehen. Ein Aufstand, der sich lohnt. Er gibt nur diesen Weg. Zweifelsfrei. Weiter gehts. Wir sind dabei. Wo so viel Unrecht geschieht.

Im Juli 2019

Besseres

Wir dürfen zurück in unseren Alltag. Schrittweise. Lange haben wir darauf gewartet. Häusliche Quarantäne und Kontaktverbote hielten uns gefangen.

Bange starrten wir auf Tabellen mit Infektions- Todes- und Überlebensraten. Keine Zahl war richtig, kaum eine wirklich falsch, ihre Bedeutung selten klar und das politische Maßnahmenpaket voller Risiken.

Die Schulen waren verwaist, Ladentüren verschlossen. Kulturhäuser blieben unbespielt und die Gasthäuser leer. Gespenstisch still war es auf den Straßen. Die Kraftstoffpreise sanken auf ein Vieljahres-Tief. Draußen erwachte der Frühling ohne uns. Der Himmel atmete auf.

Wir haben das alles erlebt. Und wir haben mitgemacht. Geduldig. Aus Einsicht. Wir wollten das Schlimmste verhüten: Dass ein Virus unser und das Leben anderer zerstörte. Ein Virus, gegen das es kein Mittel und keine Therapie gab, der man sich hätte bedenkenlos anvertrauen dürfen. Ein Virus, das den Forschern tagtäglich neue Überraschungen bereitete und sich zu allem Überfluss dort besonders fruchtbar vermehrte, wo Menschen sich näher kamen.

Wir selbst hatten den unbequemen Gast aus der Ferne mitgebracht und mit Flugzeugen in Windeseile über den Globus verteilt. Das Virus bediente sich unserer modernen Technik zur Überwindung langer Strecken. Und es bediente sich unserer Hotspots menschlicher Nähe, um allerorten aufzublühen.

Wir dürfen nun zurück in unseren Alltag. Wenn uns nichts Besseres einfällt.

Im Mai 2020

Nicht so schnell

Das Virus ist boshaft. Doch es kriegt uns nicht. Wenigstens nicht so schnell. Vielleicht später einmal. Sehr viel später, wenn wissenschaftlich gesichert ist, wie es zu besiegen ist. Aber nicht heute. Nicht zur Unzeit, zu der wir noch zu wenig wissen, uns noch die Waffen fehlen, es vernichtend zu schlagen.

Wir passen auf. Halten still. Schützen uns, geben ihm keine Gelegenheit sich einzunisten, von uns Besitz zu ergreifen um in uns massenweise neue Viren freizusetzen, die das unselige, mitunter gar vernichtende Treiben ihrer Vorfahren hemmungslos in immer neue Generationen forttragen.

Wir wollen nicht ihr Wirt sein, Wirt solch kleinster Wesen zwischen Leben und Tod, solch unsichtbarer Gäste. Sie kommen ungebeten und häufig genug unerkannt. Wir wissen nicht einmal, ob sie Quartier bezogen haben und ob sie wirklich fort sind, wenn wir sie längst nicht mehr in uns wähnen. Sie verschwinden spurlos. Doch nur scheinbar. Auf den ersten Blick. Bis wir sehen, was sie in uns angerichtet haben. Und womöglich noch anrichten können, weil sie noch da sind. Und uns schrecklich treue Verbündete bleiben.

Das Virus ist boshaft. Doch es kriegt uns nicht. Nicht so schnell.

Im Mai 2020