Eben noch ausdrucken. Dann geht die Steuererklärung auf den Weg. Fristgerecht. Die Enter-Taste gibt das Startsignal. Gleich werden feinste Tintenstrahlen das Papier mit einem Muster benetzen, das sich für uns in Buchstaben und Zahlen verwandelt. Bereit, unsere Unterschrift aufzunehmen. Denn unterzeichnet muss er sein, der Mantelbogen. Es ist der fast letzte Akt zur Erfüllung einer lästigen Pflicht. Ich bin wieder einmal spät dran. Eine Mahnung liegt schon hinter mir. Mit Fristsetzung bis morgen. Bis morgen ist der Brief auch im Kasten. Garantiert. Ich schaffe es auch dieses Mal und warte nur noch auf den Ausdruck. Der eigentlich schon anlaufen müsste. Der noch immer auf sich warten lässt. Vielleicht ist ja eine Einstellung nicht ganz in Ordnung? Die Prüfung zeigt: Sie ist korrekt. Und der Drucker selbst? Hat er kein Papier, keinen Toner? Aha, ein gelbes Lichtlein blinkt und meldet eine Störung. Die gelbe Farbe ist verbraucht. Damit sind auch die anderen Farben aus dem Spiel.
Kein Problem, denke ich: Dann kriegt das Finanzamt eben einen Schwarz-Weiß-Ausdruck. Da steht das gleiche drin. So kleinlich ist das mit den ausgedruckten amtlichen Formularen schließlich nicht zu sehen. Denn es kommt auf den Inhalt an. Nun also in Schwarz-Weiß. Die Einstellung ist rasch geändert. Und auf geht´s. Der Drucker verharrt weiter in stillem Protest. Er weigert sich, auch nur einen Tintentropfen zu verstrahlen. Er stellt sich tot und meldet mit digitaler Penetranz das Fehlen gelber Farbe. Wo er doch nur Schwarz-Weiß drucken soll. Bunt soll das Formular ja gar nicht werden. Der Inhalt ist ja auch nicht lustig. Es ist schließlich meine Steuererklärung. Ich prüfe die Einstellungen, suche im Manual nach einer Erklärung. Sie bleibt mir verborgen. In den tiefen Schluchten der Internet-Chatrooms finde ich dann den entscheidenden Hinweis: Auch wer nur Schwarz-Weiß drucken will, muss Farbe bekennen. Beziehungsweise haben. Dort, wo die Farbe hingehört. In den Farbtanks, den Milliliter-Portiönchen-Tanks der Druckpatronenhersteller. Und zwar in jedem. Ausnahmslos. Da macht Gelb keine Ausnahme. Auch Gelb muss sich an diese Regel halten. Technische Gründe werden angegeben. Mich überzeugen sie nicht.
Nun gut. Der Spaß wird teuer. Wenn es nur ein Spaß wäre. Dabei geht es nur um eine rabenschwarze Steuererklärung, die mir sogar noch eine deftige Nachzahlung bescheren könnte. Für heute wird meine Steuerakte geschlossen. Es ist schon spät. Morgen geht es weiter. Ich fahre zum nächstgelegenen Anbieter von Büromaterialien. Er liegt lächerliche 10 Kilometer entfernt. Was sind schon 2 Liter Sprit meines Wagens gegen die sündhaft kostbaren Ingredienzien der in homöopathischen Dosen in die Druckertanks eingebrachten Farbpigmente für den Abschluss meiner staatlich angeforderten Steuererklärung für das vergangene Jahr? Der Verkäufer ist freundlich, womöglich sogar sachkundig. Mit einem entwaffnenden Schulterzucken reicht er mein Entsetzen über die Preisauszeichnung für die kostbaren Druckerbetriebsmittel weiter an unbestimmte und unbekannte Mächte, die sich jenseits des Verkaufsraums an einem geheimen Ort mit klammheimlicher Freude an den Panikattacken der Käufer ihrer Produkte zu ergötzen scheinen.
So nicht! Mein schläfriger Verstand zeigt Widerstandsgeist: Die Rote Linie ist überschritten. Der wegen seiner rechnerisch so besonders günstigen Verbrauchskosten ins Haus geholte Drucker entpuppt sich als Trojanisches Pferd, aus dem sich nun die kleinen Farbkrieger aufmachen, um mein Konto zu plündern. Hier wird Widerstand zur Pflicht. Mit einem herzlichen Dank an den zum Handlanger solcher Machenschaften degradierten Fachverkäufer verlasse ich entschlossen das Geschäft. Entschlossen, nach Alternativen zu suchen, wenn es sie denn gibt. Es gibt sie. Es gibt andere Drucker, die sprichwörtlich günstige Verbräuche versprechen. Doch halt: War das gerade ein Déjà-vu-Erlebnis? Troja ist gar nicht so weit. Nein. Das ist keine Lösung.
Dann gibt mein Rechner Alarm. „tintenalarm“. So heißt eine Internetseite, die mir Tintenpatronen für mein Trojanisches Pferd – übrigens ein Modell der Fa. Brother mit der Bezeichnung: DCP-J410DW – zu einem Bruchteil der Kosten des Original-Farbarsenals verspricht. Ich weiß nicht, ob ich es wagen soll. Die Bewertungen durch andere Käufer sind angeblich gut ausgefallen. Ob diese Informationen den Tatsachen entsprechen, weiß ich nicht. Sie als richtig zu unterstellen, ist Vertrauenssache. Mit meinem Vertrauen aber ist es nicht mehr weit her. Dieses eine Mal noch und weil es ja einem guten Zweck dient, nämlich meiner Steuererklärung, stelle ich meine Bedenken beiseite. Ich drücke den Button „jetzt kaufen“. Ein erlösender Schritt.
Das „tintenalarm“-Menü führt mich bis zu dem alles entscheidenden Aufruf: Jetzt bitte zahlen. Die Sache eilt. Ich wähle die Sofortüberweisung. Mein Konto ist gedeckt. Es ist auch für solche kleineren Zahlungen zuständig. Und ich habe eine prima Online-Verbindung: Per mobiler TAN kann ich Zahlungsvorgänge mit fast absoluter Sicherheit durch Nutzung zweier Datenübertragungswege auslösen. Ganz schön klasse, diese Möglichkeit. Durch einen Klick fordere ich die Übermittlung der exklusiven TAN an. Per Mobile-Phone. Wo ist es nur? Wie üblich, liegt es in meinem Arbeitszimmer unter dem unerledigten Papierkram. Und wie üblich, haucht der sonst vor Elektrizität strotzende Akku gerade jetzt seinen nur noch schwachen Atem aus. Kein Problem. Damit habe ich Erfahrung. Dann dauert die Sache eben ein paar Minuten. Das Phone kommt an die Steckdose. Mein offenes Online-Konto erweist sich als geduldig und sieht gnädig davon ab, mich vorzeitig aus der Leitung zu werfen. Und siehe da: Das Display erwacht zum Leben. Eine Nachricht erscheint und mit ihm der erlösende Code: Meine TAN. Ich lese sie, will sie mir merken. Denn mein mit der dringend erforderlichen Energiezufuhr verkabeltes Phone reicht nicht ganz bis zu dem Platz, von dem aus ich mein Konto einsehen und steuern kann. Es jetzt abzustöpseln, würde die TAN vernichten und das ganze Spiel auf „Null“ setzen.
So merke ich mir die TAN, transportiere sie mit meinem ausgezeichneten Gedächtnis über eine Strecke von nicht einmal zwei Metern. Ich bin sicher, die Zahlen- und Buchstabenkombination richtig eingegeben zu haben. Doch ich ernte Ablehnung. Mein Konto mag meine Eingabe nicht, hält sie für falsch. Ein zweiter und ein dritter Versuch folgen. Vergeblich. Überall fließt mein Geld ab, sogar unmerklich. Hier aber streikt es, will seine Ruhestätte nicht verlassen, scheint sich fest auf meinem Girokonto eingerichtet zu haben. Am Ende macht mein Konto schließlich Schluss mit mir. Ich habe es wohl mit meiner unbescheidenen Überheblichkeit überreizt. Aus. Ende. Vorbei. Game over. Hier geht nichts mehr. Das Konto ist gesperrt.
Wäre ich in solchen Angelegenheiten unerfahren, könnte mich die feindselige Aktion meines Kontos nun in Unruhe versetzen. Doch Vieles ist mir ja nicht mehr fremd. Es gibt immer eine Lösung. Und siehe da, sie ist schon gefunden: Selbstverständlich lässt sich das mir online so unzugängliche Konto auch entsperren. Das ist ein lobenswerter Kundendienst meines Konto führenden Instituts. Mit einem kurzen Klick erfahre ich auch, wie es geht. Und es ist ganz einfach. Wenn man neben der TAN-Freischalt-Möglichkeit über ein Phone auch noch eine andere Methode nutzt. Etwa ein chip-TAN-Verfahren. Ich muss gestehen: Damit habe ich mich bisher noch nicht beschäftigt. Das Verfahren per SMS und Phone funktioniert doch einwandfrei. Nur heute nicht.
Ich ergebe mich, entschließe mich, ein chip-TAN-Verfahren einzurichten. Mit dem Ziel, mein Konto zu entsperren, mit dem weitergehenden Ziel, dann die Tintenpatronen für meinen Drucker bezahlen zu können, mit der Erwartung, dass diese dann auch geliefert werden, mein Drucker sie nicht abstößt und mir am Ende den Mantelbogen meiner Steuererklärung ausdruckt, den ich nun dringend auf den Weg bringen muss. Ein chip-TAN-Verfahren muss ganz sicher sein. Und so erkläre ich mich bereit, mich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einzulassen. Dazu gehört der Erwerb eines Lesegerätes, das in der Lage ist, vom Bildschirm meines Computers und vom Display meines Mobilphones geheime Signale entgegenzunehmen und sie in den alles erlösenden Code zu verwandeln, der mit seiner Eingabe den offenen Zahlungsvorgang zum Erwerb von Tintenpatronen freigeben wird. Die Geräte, die mein Kreditinstitut empfiehlt, erweisen sich einer ausführlichen Internetrecherche nach Alternativen zufolge als durchaus konkurrenzfähig in Preis und Leistung. Die ich ohnehin nicht beurteilen kann. Ich bestelle. Und zahle von einem andern Konto aus. Übringens mit einer TAN, die noch auf Papier gedruckt ist. Die Bestätigung der Bestellung folgt, nur wenige Tage später auch das Lesegerät. Gut verpackt in einem großen Karton.
Die Aktivierung des Chip-TAN-Verfahrens erfolgt fast intuitiv, nachdem ich entdeckt habe, dass sich die Markierungen auf dem Bildschirm mit den Markierungen auf dem Gerät decken sollten und natürlich die EC-Karte meines Instituts nicht fehlen darf. Mit bemerkenswerter Geschwindigkeit erfolgt dann die Entsperrung meines Online-Kontos. Der Streik ist zuende. Mein Konto arbeitet wieder. Wir können zum Alltag übergehen. Ich bestelle beim „tintenalarm“ zwei Portionen Farbe für meinen Drucker. Eine Portion zum sofortigen Einsatz. Die zweite für den Zeitpunkt, dass sich wieder einmal eine der Farben anschicken sollte, das ganze Drucksystem zu torpedieren. Die Kosten sind hoch, doch vernachlässigbar angesichts der trojanischen Alternative des Druckerherstellers.
In Feierstimmung drucke ich mit schwarzer Farbe den Mantelbogen meiner Steurerklärung aus. Meine Frau und ich leisten die notwendigen Unterschriften. Wie in jedem Jahr lassen wir es uns nicht nehmen, das Schriftstück persönlich in den Briefkasten des für uns zuständigen Finanzamtes einzuwerfen. Wir genießen das Gefühl der Erleichterung. Wie jedes Jahr. Mal sehen, was das Finanzamt sagt. Sorry für die Verspätung: Wir mussten nur noch eben den Mantelbogen ausdrucken.
Im Oktober 2016